Aufbau und Funktion der Blut-Hirn-Schranke
Ingeburg Ruppe
Einleitung
Jedes Lebewesen auf der Erde ist von natürlichen und auch von künstlich
erzeugten elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern unterschiedlicher
Frequenzbereiche und Intensitäten umgeben. Der ständig wachsende Einsatz
moderner Techniken und die Weiterentwicklung der Informations und Kommunikationstechnologien
bewirken eine Zunahme dieser Felder in unserer täglichen Umgebung. In
der Öffentlichkeit werden deshalb sehr lebhaft die möglichen Auswirkungen
der Felder auf das menschliche, tierische und pflanzliche Leben diskutiert
und in vielen allgemein zugänglichen Publikationen sehr oberflächlich
und medienwirksam über Wirkungen der Felder auf den Menschen berichtet.
Durch Mitteilungen in Zeitschriften, deren Inhalt nicht immer wissenschaftlich
überprüft ist, wird bei den Lesern die Angst erzeugt, dass durch das Telefonieren
mit einem Mobiltelefon das Gehirn Schaden nimmt, indem die Blut-Hirn-Schranke
durchlässig gemacht wird. In Gesprächen mit den geängstigten Personen
stellt man fest, dass über diese Blut-Hirn-Schranke ganz abenteuerliche
Vorstellungen existieren. Häufig bekommt man erklärt, dass sich da ein
Organ öffnet, ähnlich einer Bahnschranke und dann strömen schädliche Stoffe
in das Gehirn ein und vergiften es.
Schranken zwischen dem Blut und den Organen
So einfach ist die Situation natürlich nicht, deshalb wird versucht,
die anatomische Situation zu erklären. Unser Körper besteht aus einzelnen
Organsystemen und Organen, die für ihre Funktion unterschiedliche aber
konstante Bedingungen z.B. an Nährstoffen, Hormonen oder Elektrolyten
benötigen. Alle Organe sind durch den Blutkreislauf miteinander verbunden.
Da im Blut alle Bestandteile für die Versorgung aber auch die Entschlackung
des Körpers enthalten sind, müssen Filtersysteme dafür sorgen, dass für
die einzelnen Organsysteme nur die benötigten Stoffe durchgelassen bzw.
teilweise zurückgehalten werden. Man kennt unter anderem die Blut-Gewebe-Schranke,
auch als Blut-Parenchym-Schranke bezeichnet, die Blut-Leber-Schranke,
die Blut-Liquor-Schranke, die Blut-Hirn-Schranke, die Liquor-Hirn-Schranke,
die Blut-Nerven-Schranke, die Blut-Retina-Schranke und die Plazentaschranke.
Bei diesen Filtermechanismen wird durch einen sogenannten Schrankeneffekt
der Übertritt bestimmter Stoffe aus der Blutbahn in das jeweilige Organsystem
verhindert oder eingeschränkt, wenn die Organsysteme die Bestandteile
nicht oder nur in geringerer Konzentration benötigen.
Diese ,,Schranken" sind keine selbständigen Organe, sondern sie werden
aus einer Vielzahl von Zellen und Zellzwischenräumen gebildet, die die
Blutgase, die Nährstoffe und bestimmte Chemikalien durchlassen oder als
Endothelporen Makromoleküle zurückhalten oder als Lipidmembranen in der
Gefäßwand hemmend auf den Durchtritt nicht lipidlöslicher Stoffe wirken
oder eine selektive Wirkung aktiver Transportprozesse in den Kapillaren
bewirken. Das Gehirn und das Nervengewebe werden durch zwei Filtersysteme
geschützt, die Blut-Liquor-Schranke und die Blut-Hirn-Schranke.
Blut-Liquor-Schranke
Der Liquor ist eine Hirn-Rückenmarkflüssigkeit, die die inneren und äußeren
Liquorräume im Schädel und im Wirbelkanal ausfüllt. Bei der Liquorproduktion
sowie beim Übertritt von Substanzen aus dem Blut in den Liquor finden
Filtration, Diffusion und aktive Transportprozesse von beispielsweise
Kohlendioxid, Glukose und Aminosäuren statt. Dieser Stoffaustausch wird
geregelt durch die Blut-Liquor-Schranke, die durch Endothelzellen in den
Kapillarbereichen und der Hirnhaut gebildet wird und zwischen den Blutgefäßen
und dem Liquorraum angeordnet ist. Die unterschiedliche Konzentration
des Blutes und des Liquors an Glukose, Proteinen, Kolloiden und Elektrolyten
wird durch diese Filterfunktion so geregelt, dass sich die optimale Konzentration
für das Gehirn einstellt.
Blut-Hirn-Schranke
Das Vorhandensein und die Funktion der sogenannten Blut-Hirn-Schranke
ist schon seit über 100 Jahren bekannt und von Paul Ehrlich bereits 1885
im Experiment nachgewiesen worden. Innerhalb des Zentralnervensystems
sind die Räume zwischen den Neuronen fast völlig durch Gliazellen und
ihre Ausläufer ausgefüllt. Der gesamte Stoffwechsel der Nervenzellen geht
über diese Glia- oder Endothelzellen. Sie dienen zum Einbau der Nervenzellen
und -fasern und zu ihrer Ernährung und Isolation. Eine Form der Gliazellen
sind die Astrocyten. Sie besitzen zahlreiche Fortsätze, mit denen sie
sich an der Wand der Kapillaren befestigen und eine die Kapillaren allseitig
umgebende nahezu spaltenlose Endothelauskleidung bilden. Diese Endothelzellen
sind durch Verbindungselemente, die ,,tight junctions" (siehe Bild), verknüpft
und mit einer selektiven Stoffdurchlässigkeit ausgestattet, die nur Partikel
mit einem Durchmesser kleiner 20 nm passieren lassen. Auf diese Weise
geht der gesamte Stoffwechsel der Nervenzellen über dieses endotheliale
Geflecht, das die im Blut vorhandenen Substanzen gleich einem biologischen
Filter bei Bedarf durchlässt, aber für die Gehirnfunktion schädliche Substanzen
vom Nervensystem fernhält.
Funktion der Blut-Hirn-Schranke
Dieses Endothelgeflecht und die Endothelzellen, die die Kapillaren als
eine Basalmembran auskleiden, werden als Blut-Hirn-Schranke bezeichnet.
Ungehindert durchgelassen werden Sauerstoff, Kohlendioxid, D-Glukose,
D-Hexose, einige L-Aminosäuren und lipidlösliche Stoffe, die für die Versorgung
des Gehirns notwendig sind. Ebenso werden Abbauprodukte ins Blut abgegeben.
Eine gewisse Barriere stellen die Endfortsätze der Astrozyten für zahlreiche
Stoffe wie bestimmte Hormone, nicht lipidlösliche, wasserlösliche und
chemische Substanzen sowie Proteine dar und sichern dadurch die Aufrechterhaltung
eines konstanten Milieus für die Neuronen des Nervensystems.
Störung der Blut-Hirn-Schranke
Das Zellgefüge der Astrozyten ist so angeordnet, dass es eine effektive
Abschottung gegen höhermolekulare Substanzen und Organismen bildet. Es
ist aber auch unter Normalbedingungen nicht völlig dicht, sodass einige
Partikel immer diese Schranke durchdringen können. Bei Infektionen, Traumen,
Entzündungen, Vergiftungen, Hypoxidosen, Fieber und im Bereich von Tumoren
werden die engen Verbindungen, die tight junctions, zwischen den Endothelzellen
durch die Schwellung der Astrozyten aufgedehnt und deutlich durchlässiger
für andere Stoffe. Die Änderung der Lichtungsweite erfolgt durch Quellung
und Entquellung der Endothelzellen. Auch die Basalmembran der Kapillaren
ist keine geschlossene Schicht. Je nach der Dichte des Fasernetzes entstehen
Poren in der Membran, die aktiv am Stoffaustausch beteiligt sind.
Pathologische Tumorgefäße bilden keine Blut-Hirn-Schranke aus. Dieses
Wissen nutzt man für diagnostische Verfahren aus, indem man Kontrastmittel
in die Gefäße gibt und prüft, ob das Kontrastmittel in den Gefäßen bleibt
oder in das Tumorgewebe austritt. Schon lange vor der Möglichkeit einer
Antibiotikabehandlung hat man die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke
durch künstliche Fiebererzeugung ähnlich dem Vorgang bei Infektionen gesteigert
und zur Therapie der Syphilis des Zentralnervensystems und zur Schockbehandlung
in der Psychiatrie ausgenutzt, indem man Medikamente damit direkt an das
Gehirn herangeführt hat. Nach dem Ende der Einwirkung der die Blut-Hirn-Schanke
beeinflussenden Bedingungen bildet sich die zeitweise Durchlässigkeit
wieder zurück.
Schlussfolgerungen
Wenn man die Ausführungen zusammenfassend betrachtet, sollte man die Blut-Hirn-Schranke
eher als ein selektives Filter und nicht als Schranke bezeichnen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Durchlässigkeit besonders
bei Erwärmungen und Funktionssteigerungen erhöht. Eine Erwärmung des Gehirns
erfolgt aber beim Telefonieren mit dem Mobiltelefon so gut wie nicht.
Gemessen wurden nach Nutzung des Telefons mit maximaler Leistung nach
einer viertel Stunde unter der Schädelkalotte 0,1°K. Während eines warmen
Bades, anstrengender körperlicher Tätigkeit oder eines längeren Aufenthaltes
in der Sonne kommt es zu einer größeren Erwärmung. Inwieweit die Blut-HirnSchranke
in diesen Situationen reagiert oder der Körper solche Änderungen toleriert,
ist nicht untersucht. Da sich die Durchlässigkeit nach dem Ende z.B. der
Erwärmung wieder zurückbildet, sollte eine Wirkung im Experiment kurz
nach dem Einwirken eines Faktors untersucht werden. Wenn Wochen nach der
Exposition Veränderungen gefunden werden, wie in der Untersuchung von
Salford (5) beschrieben, kann nicht ausgeschlossen werden, dass zwischenzeitlich
andere Einflüsse auf die Versuchstiere ein gewirkt und zu einer Änderung
der Filterwirkung der Blut-Hirn-Schranke geführt haben.
Dr. med. Ingeburg Ruppe
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Sitz Berlin
Literatur
- Berne, Robert M. u. Levy Matthew N.: Physiology, 3.Edition, Mosby
year Book, St. Louis, Baltimore, Boston, 1993
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- Martini, Frederic u.a.: Fundamentals of Anatomy and Physiology 2.
Edition, Prentice Hall, Englewood Cliffs, New Jersey, 1992
- Roche-Lexikon Medizin", Verlag Urban & Fischer, 4. Aufl., 1998
- Salford, L.G., Brun, A., Eberhardt JL, Malmgren, L. and Persson,
B.: Nerve cell damage in mammalian brain after exposure to microwaves
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the National Institute of Environm. Health Sciences 2003; 1-17.
- Schmidt, Robert F. u. Thews, Gerhard: Physiologie des Menschen, 24.Edition,
Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, 1990
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